NLZ, 28.10.2010 hat geschrieben:«FCL ist besser aufgestellt als St. Gallen»
Der FC St. Gallen steht am Abgrund.
Dem ältesten Schweizer Fussballclub droht der
Zwangsabstieg in die 1. Liga. Experten sagen, warum
ein Stadionneubau mit Risiken verbunden ist.
LUKAS SCHARPF
lukas.scharpf@neue-lz.ch«Ich drücke St. Gallen die Daumen,
dass sie das nötige Geld finden», sagt
Thomas Schönberger, CEO des FC Luzern.
Aus der Distanz sei es schwierig zu
sagen, was genau in St. Gallen abgehe
und was die Verantwortlichen jetzt tun
müssten. «Ich kann nicht darüber urteilen,
ob in St. Gallen noch eine Chance
zu einer Rettung besteht. Aber aus
sportlichen Gründen hoffe ich, dass sie
es schaffen», sagt Schönberger. Der
CEO des FC Luzern betont: «St. Gallen
hat kein Fussballproblem, sondern ein
Stadionproblem.»
16 Millionen Franken sind in St. Gallen
nötig, um Club und Stadionbetrieb
zu sanieren. Zugesichert sind erst 5 Millionen.
St. Gallen wäre nicht der erste Fussballclub,
der keinen Ausweg aus der
finanziellen Misere findet (siehe Box).
2002 musste der heutige Europe-League-
Teilnehmer Lausanne-Sport wegen
Überschuldung den Gang in die 1. Liga
antreten. Im Jahr 2005 folgte der Genfer
Traditionsclub Servette. Wie heute St.
Gallen spielte auch Servette in einem
neuen Stadion. Das 30 000 Zuschauer
fassende Stade de Genève steht heute
mit Ausnahme von Länderspielen leer
und belastet die Kasse der Städte Genf
und Lancy sowie des Kantons mit
mehreren Millionen Franken jährlich.
Mantelnutzung ist problematisch
Beim Bau von neuen Stadien wird
immer wieder die Wichtigkeit der Mantelnutzung
betont. Sportökonom Helmut
Dietl warnt davor, darin einen
finanziellen Schutzschild zu sehen.
«Der Wert eines Stadions ist abhängig
vom Club», sagt Dietl. Langfristig könne
ein grosses Stadion nur von einem Club
in der obersten Liga ausgelastet werden.
«Steigt der Club ab, hat man eine
Investitionsruine.» Eine Mantelnutzung
des Stadions könne höchstens vorübergehend
den finanziellen Schaden begrenzen.
Für den Sportökonomen der Universität
Zürich liegt es auch an der Liga,
Lösungen zu finden, um der Misswirtschaft
der Clubs Herr zu werden. «Zwischen
den Clubs herrscht ein Rüstungswettbewerb.
Der wirtschaftliche Erfolg
ist an den sportlichen gekoppelt», darum
sei es nur normal, dass sich immer
wieder ein Club übernehme. «St. Gallen
hat offenbar einige hausgemachte Probleme.
Aber es gibt im Fussball ein
grundlegendes Problem: die Kostenexplosion
wegen der hohen Gehälter von
Trainern und Spielern», sagt Dietl.
Die ganze Liga leidet
Mit dem Lizenzierungsverfahren der
Schweizer Fussballliga wird versucht
sicherzustellen, dass die Clubs auf einer
soliden finanziellen Basis stehen. «Offenbar
reicht das Verfahren nicht, um
Überinvestitionen zu verhindern», sagt
Dietl. Die Lösungen müssten aus dem
Sport selbst kommen. «Wenn man
nicht gewillt ist, neue Regulatorien
einzuführen, sind irgendwann alle
Clubs davon betroffen.» Ohne Super-
League-Clubs in St. Gallen, Genf oder
Lausanne leide die Attraktivität der
gesamten Liga. «Dann sinken auch die
Einnahmen für alle», sagt Dietl.
Zehnerliga keine Lösung
Ein neues Stadion schaffe überhöhte
Erwartungen, sagt Christoph Graf, Geschäftsführer
von 4Sports. Das Zuger
Unternehmen ist im Athletenmanagement
und im Sportmarketing tätig.
«Das Beispiel St. Gallen zeigt einmal
mehr, dass der Neubau eines Stadions
einen Club nicht finanziell sichern
kann.» Graf bezweifelt, dass der FC
St. Gallen vor dem Zwangsabstieg zu
retten ist. Das Beispiel in der Ostschweiz
zeige auch, wie verhängnisvoll
es sei, wenn ein Club von wenigen
Geldgebern abhängig sei. «Ähnliches
erlebt auch der Grasshoppers-Club.» Er
kritisiert auch die Idee, mit nur zehn
Clubs in der Super League seien diese
besser finanziert. «Das ist ein Irrglaube.
»
Weniger Gefahr für den FC Luzern
Dass sich der Fall St. Gallen in Luzern
wiederholen könnte, glaubt Graf aber
nicht. «Der Neubau des Luzerner Stadions
scheint breit abgestützt. Der FCL ist
besser aufgestellt als St. Gallen.»
Das sieht auch der FCL-CEO Schönberger
so: «Wir haben klare Rahmenbedingungen
der Stadt Luzern. Daran
halten wir uns.» Der Bau werde schuldenfrei
in Betrieb genommen. «Darum
bin ich von unserem neuen Stadion
überzeugt. Wir werden unbelastet den
Betrieb starten», sagt Schönberger. Der
CEO glaubt darum nicht, dass der FC
Luzern Lehren aus den Problemen in
St. Gallen ziehen müsse. Muss der FC
St. Gallen absteigen, ist das nicht nur
ein Schandfleck für den Club selbst.
«Das wäre ein Imageverlust für die
gesamte Liga», sagt Schönberger.