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von Guru77 » 12. Mär 2016, 09:46
Fussball12.03.2016, 07:30
FC Luzern
Der angeschlagene Präsident
Der 58-jährige frühere Banker sieht sich als Opfer einer Kampagne. Seit gut zwei Jahren ist er FCL-Präsident. Er erlebte mehr schlechte Zeiten als gute. Einen Rücktritt schliesst er nicht kategorisch aus.
Flurin Clalüna, Luzern
Wenn alles so einfach wäre wie auf diesem Flipchart, Rudolf Stäger sässe nicht zum Krisengespräch hier in der Geschäftsstelle des FC Luzern. Ein Blatt Papier, ein aufgezeichnetes Fussballfeld – und eine einzige Filzstiftlinie von einem Tor ins andere, das Einfachste der Welt. Aber der FC Luzern trifft zu wenig oft ins Tor, er verliert nur noch, jedes einzelne Spiel im Jahr 2016. Und ihn, den Präsidenten Stäger, 58, hat man als Schuldigen ausgemacht, oder wie er es sieht: Er sei ein Kampagnenopfer.
Der Bär
Stäger kommt eine Minute zu spät und entschuldigt sich. Er trägt ein blaues Hemd, ein Einstecktuch ist im Veston, und er hat einen Händedruck, der ihn zu einem selbstsicheren, stolzen Mann macht. Stäger, Bauernsohn aus dem Berner Seeland, früherer Major der Schweizer Armee, ist ein erfolgreicher Karrierist; er hat in der Geschäftswelt gelernt, wie man sich durchsetzt. Als Banker hat er einen Börsencrash miterlebt und Nächte im Schlafsack im Büro verbracht. In der Pfadi nannte man ihn früher Bär. Aber was in den letzten Wochen mit ihm geschehen ist, «das hat weh getan und hinterlässt auch Spuren».
Seit gut zwei Jahren ist Stäger FCL-Präsident, er hatte wenige gute und viele schlechte Monate. Als er kam, brachte er vor allem seinen Wirtschaftsverstand mit. Aber wahrgenommen wird er besonders wegen seiner sportlichen Personalentscheide, Entlassungen und Trennungen: Alex Frei, der Sportchef, Carlos Bernegger, der Trainer; und zuletzt Rolf Fringer, wieder ein Sportchef, und Roland Vrabec, der Assistenzcoach. Oder es wird kritisiert, dass die Trainerverträge von Bernegger oder Markus Babbel zur Unzeit verlängert worden seien. Und weil der FC Luzern immer weiter verliert, müssen Stägers Entscheide alle falsch sein. Es ist simple Fussballlogik, ungerecht, tendenziös vielleicht auch, aber wirkungsmächtig.
«Versager»
Es ist eine vergiftete Rhetorik, die in Luzern herrscht, teilweise mit parteiischen Lokalmedien, die Stäger und seine Leute geradeheraus als «Versager» bezeichnen; es ist ein provinzieller Kleinkrieg, in den sich auch der FCL hat hineinziehen lassen, indem er sich in Medienmitteilungen ebenfalls zur Polemik hinreissen lässt, auf den Mann zielt und Journalisten namentlich angreift.
Aber vielleicht ist ja sowieso alles ein grosses Missverständnis – mit Stäger, der sich als Mitfünfziger in einer Art verspäteten Midlife-Neubesinnung «im Fussball eine neue Welt eröffnen wollte». Und dann musste er feststellen, dass man ihn in diesem Umfeld vielleicht gar nicht richtig haben wollte. Die Menschen im Stadion pfiffen, als bekanntwurde, dass Stäger den beliebten Luzerner Hotelier Mike Hauser als Präsident des FCL ablösen würde.
Bezahlter Präsident
Vielleicht begann alles damit, dass ein Headhunter Stäger für das Präsidentenamt angeworben hatte. In der Wirtschaft ist das für Topstellen ein gewöhnlicher Vorgang, im Fussball aber so etwas wie ein Traditionsbruch. Fussballpräsidenten in der Schweiz arbeiten oft in einer Art sozialer Freiwilligenarbeit. Stäger aber wird bezahlt, es ist ein 60-Prozent-Mandat; es ist nur eines von mehreren Mandaten, der FCL ist das zeitintensivste, aber Stäger hat noch drei weitere, die ihn vor allem beschäftigen – aus der Pharma- und der Bankenwelt. Es ist, als ob ihn dieser schweigende Vorwurf immer verfolgt: Das Präsidentenamt ist also nur ein Job für ihn, bloss ein Mandat in seinem Portfolio.
In fast jedem Zeitungsbericht ist Stäger der «bezahlte» Präsident, so, als wollte man damit auch sagen, er solle seine Arbeit also gefälligst anständig machen. Bernhard Heusler, der Präsident des FC Basel, bekommt auch Geld. Nur erwähnt man es bei ihm nie. Einen CEO hat der FC Luzern nicht. Stäger erledigt beide Jobs, Präsident und Geschäftsführer. Er sagt: «Ein geschäftsführender Präsident zu 60 Prozent ist eigentlich eine Mogelpackung.»
Zum ersten Mal seit vielen Jahren hat der FC Luzern in diesem Winter mit Dario Lezcano und Remo Freuler wieder einmal Spieler verkaufen können. Und man kann nicht einmal sagen, Stäger bekenne sich zu wenig zum FCL. Er ist ein Klubanhänger seit dem letzten Meistertitel 1989, und manchmal betont er fast schon angestrengt, dass er auch selber einmal Fussball gespielt habe und durchaus etwas davon verstehe.
Es nützt nichts. Er bleibt der Quereinsteiger. Wenn man ihm böse will, ist da immer noch seine Rolle als Verwaltungsratspräsident des Sportvermarkters Kentaro, der mit Millionenschulden unterging; oder besonders kleinkariert: Sein verdächtiger Berner Dialekt, obwohl er seit mehr als einem Vierteljahrhundert in der Innerschweiz daheim ist.
Ruedi, nicht Rudolf
Einmal hat er vorgeschlagen, die Fans sollten ihn «Ruedi, nicht Rudolf» nennen, und er erzählte, er trinke auch Bier im Stadion. Aber eine echte Chance hat er vielleicht nie wirklich bekommen. Einer von uns? Eher nicht. Stäger sagt: «Man spricht mir immer wieder einmal den Stallgeruch ab.» Stäger ist eingeklemmt zwischen Kommerzialisierungsgegnern, Traditionalisten, unversöhnlichen Medien, erfolgshungrigen Fans – und nicht zuletzt einflussreichen Investoren, die über ihm stehen und denen er Rechenschaft schuldet. Stäger steht in verschiedenen Abhängigkeiten; die vielleicht gefährlichste Männerfreundschaft wird ihm mit dem Trainer Markus Babbel nachgesagt. «Erstunken und erlogen» seien die Geschichten, dass sie gemeinsam Ferien verbracht hätten oder Babbel Mieter in seinem Haus sei.
Wie lange noch?
Die Frage ist: Kann das alles noch gut gehen mit Stäger und dem FC Luzern? Einen Rücktritt schliesst er nicht kategorisch aus. Stäger sagt: «Freunde fragen mich, wie lange ich das noch mitmachen wolle. Es hat Grenzen. Wenn ich merke, dass ich dem Klub mehr schade als nütze, dann bin ich der Erste, der den Stecker zieht.» Es wäre Stägers letzter Schritt zurück zur Selbstbestimmung. Er sagt, er habe noch Spass am Job. Aber auch: «Es gibt ein Leben vor dem Fussball und ein Leben nach dem Fussball.»
Vielleicht beginnt das neue Leben schon bald, vielleicht wenn Luzern am Samstag gegen Lugano verlieren sollte. Und irgendjemand auf die Idee kommt, der FC Luzern brauche nun eine ganz besondere personelle Massnahme. Vielleicht ist es Rudolf Stäger selber.
Quelle: NZZ
Fußball spielen ist sehr simpel, aber simplen Fußball zu spielen, ist das Schwierigste überhaupt. (Johan Cruyff)
Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft. (J.-P. Sartre)
Die Situation ist bedrohlich, aber nicht bedenklich. (Friedhelm Funkel)