Das Chaoten-Sündenregister
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Luzern Der Saisonstart im Fussball steht an und damit auch Gewalt, Vandalismus, Pyros. Unsere Zeitung zeigt, wie oft es wirklich kracht.
Jérôme Martinu
jerome.martinu@luzernerzeitung.chIn fünf Tagen beginnt für den FC Luzern die neue Saison in der Super League. In fünf Tagen beginnt die neue Fussballsaison für die Hooligans. Sachbeschädigungen, Gewalt, Polizeieinsätze, reihenweise verbotene Pyro-Aktionen auch beim FCL. Ein übertriebener Vergleich? Frisch sind die Erinnerungen an die Ausschreitungen zwischen Zürcher und Luzerner Chaoten in der Luzerner Neustadt vom Pfingstmontag. Die Auswüchse des Fussballs und die damit verbundenen Polizeikosten sind wieder ein Politikum in Luzern.
378 Vorfälle im letzten Jahr
In diesen Tagen ist die Hooligan-Ereignisliste des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) für das Jahr 2014 publiziert worden. Darauf aufgeführt sind Fälle von Hooliganismus an Sportveranstaltungen, im Fussball und im Eishockey. Die Liste, die sich wie ein Sündenregister liest, ist ein jährlicher Zusammenzug der polizeilichen Einträge von Ereignissen in der nationalen Datenbank «Hoogan».
Die Kantonale Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), wo die Liste aufgeschaltet wird, kommentiert: «Wir stellen über die letzten Saisons fest, dass die Entwicklung relativ stabil ist allerdings aus Sicht der KKJPD auf nach wie vor zu hohem Niveau», so Generalsekretär Roger Schneeberger. 378 Fälle von Hooliganismus werden im 17-seitigen Papier für 2014 gelistet, 237 im Fussball und 141 im Eishockey. Überwiegend sind es Spiele in der Super-League-Meisterschaft. Die Hooligan-Liste des Fedpol erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sei «eine Momentaufnahme», wie es auf Anfrage heisst. Heisst auch: Es gibt noch mehr Vorfälle. Die Liste wird als Dienstleistung für die Kantonale Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren erstellt. Dazu werden die Rapporte der Polizeikorps aus der nationalen Datenbank «Hoogan» zusammengefasst.
15 Vorfälle an FCL-Heimspielen
Unsere Zeitung hat die Liste ausgewertet: Erstmals können hiermit Zahlen zu Chaoten-Vorfällen bei Spielen des FC Luzern detailliert aufgelistet werden. Der FCL ist bei den Einträgen in zuverlässiger Regelmässigkeit vertreten:
An 27 Spieltagen kam es 2014 bei FCL-Partien zu Vorfällen.Zu diesen 27 Einträgen zählen Vorfälle, bei denen es in oder um die Swissporarena oder in der Stadt Probleme gab. Bei den Auswärtspartien sind diejenigen Fälle berücksichtigt, in denen FCL-Supporter als «Gästefans» explizit erwähnt wurden (komplette Liste: nächste Seite).
Von den Luzerner Vorfällen ereignete sich die Mehrheit an Heimspielen,nämlich deren 15. In den letzten drei Jahren waren es im Schnitt 13 Heim-Vorfälle (siehe Tabelleoben). Bei 18 Meisterschaftsspielen pro Saison in der Swissporarena heisst das übersetzt: An zwei von drei Heimspielen des FC Luzern «knallt» es.
Allein in der ersten Saisonhälfte 2014/15 kam es in der Stadt im öffentlichen Raum vier Mal zu grösseren Vorfällen.Der heftigste Vorfall ist derjenige vom 16. August 2014, als es am Bundesplatz zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Anhängern des FC Zürich und des FCL kam. Dabei wurden fünf Polizisten verletzt. Polizeikommandant Adi Achermann sprach von einer neuen Stufe der Gewalt.
In jedem Luzerner Eintrag werden verbotene Pyro-Aktionenaufgeführt. Auch in der Swissporarena «brennt» es regelmässig. Und die Fedpol-Liste widerlegt auch die in Ultra-Kreisen oft wiederholte Aussagen, wonach Pyros ungefährlich seien: Im Februar 2014 brannten FCL-Supporter in Thun Feuerwerk ab. Eine 17-jährige Jugendliche erlitt dabei Verbrennungen zweiten Grades und musste hospitalisiert werden.
FCL-Konzept: Deeskalation
Zu den Zahlen der Hooligan-Liste sagt der FCL, dessen Sicherheitsdispositiv auf Deeskalation und Prävention ausgerichtet sei, gemäss Mediensprecher Max Fischer: «Klar, die Statistik macht deutlich, wie schwierig es ist, trotz all der verschärften Massnahmen der Probleme Herr zu werden. Alle Clubs sind interessiert, Zwischenfälle wie Randale oder Pyros aus der Stadt zu verbannen. Doch schlussendlich sind wir trotz aller Kontrollen und Bestrafungen auch auf die Vernunft der Fans angewiesen.» Fischer sagt auch, für Zwischenfälle im öffentlichen Raum sei die Polizei zuständig, «dort sind oft auch Repression und Eskalation die richtigen Mittel. Uns ist es aber alles andere als gleichgültig, was im öffentlichen Raum passiert. Uns machen die Vorfälle sehr betroffen sie schaden auch dem Image des Fussballs.» Deshalb arbeite der FCL laufend und eng mit Polizei, VBL und Stadt zusammen.
Ultras: «Aussenseiterromantik»
Vertreter der Luzerner Ultras sagen gegenüber unserer Zeitung, sie würden in den letzten Jahren eine «Radikalisierung der Szene» beobachten. Dies habe mit der gestiegenen Repression seitens der Behörden zu tun. Es werde dadurch eine «Aussenseiterromantik» gepflegt, dem harten Kern gefalle diese Rolle.
Der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann überblickt die Entwicklung der letzten rund anderthalb Jahre seiner Amtszeit: «Ich kann ein Auf und Ab feststellen, ich würde aber nicht von einer Radikalisierung sprechen. Wir hatten in früheren Jahren auch immer wieder Probleme mit Hooligans.» Im ersten Halbjahr 2014 sei die Situation recht gut gewesen, das Polizeiaufgebot sei abgebaut worden. Die Ausschreitungen vom 16. August habe die Polizei dann dazu bewogen, «wieder mit mehr Kräften präsent zu sein. Von gestiegener Repression der Behörden als Ursache kann also keine Rede sein», so Achermann. Aufgrund der Analyse gebe es aus Sicht der Polizei gegenüber dem FCL keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für die neue Saison.
Pyros als «Fankultur»?
Die Ultra-Szene will sich von gewaltbereiten Hooligans abgrenzen, die Grenzen sind aber immer wieder unscharf. Pyros sehen die Luzerner Ultras als Teil der «Fankultur» und wünschen sich hier mehr Toleranz. Die «Pyro-Jagd» drehe sich sonst stetig im Kreise.
KKJPD-Sekretär Schneeberger: «Solange wir eine so hohe Zahl von Pyro- und Böllerwürfen konstatieren, kann nicht im Ernst Toleranz dafür gefordert werden.» Es gehe primär darum, die Gefährdung anderer Personen zu verhindern. Darum seien «vor allem die Pyro-Würfe und die zunehmende Zahl der Böller, die zu Gehörschäden führen, zu verurteilen». Der FCL konfisziere bei den Eingangskontrollen regelmässig Pyros. «Trotzdem lässt es sich nicht vollständig verhindern, dass Pyros ins Stadion geschmuggelt werden. Oft transportieren Fans das Pulver ins Stadion und basteln dort ihr Feuerwerk zusammen, was das Aufspüren noch schwieriger macht», erklärt der FCL-Sprecher.
Neu: Risiko-Info für Anwohner
Die Stadtbehörden wollen auf die neue Saison hin den Informationsfluss zu den betroffenen Quartierbewohnern verbessern. Diese können neu einen Newsletter abonnieren, wie der städtische Sicherheitsmanager Maurice Illi sagt. «Der Newsletter informiert insbesondere über bevorstehende Hochrisikospiele und die damit verbundenen Zeiten und Verkehrseinschränkungen», wie Illi erklärt. Was erwartet die Stadt vom FCL? Die Stadt anerkenne grundsätzlich die Bemühungen des FCL im Bereich Hooliganismus. Sie werde sich laut Illi bei der Beantwortung des hängigen CVP-Vorstosses inhaltlich dazu äussern. Dieser fordert vom Stadtrat, sich für Massnahmen einzusetzen, um das Prinzip Nulltoleranz gegenüber Chaoten durchzusetzen.