GRENOBLE FOOT 38
Verfasst: 26. Aug 2008, 13:25
26. August 2008, Neue Zürcher Zeitung
Japanische Alpenluft
Der Ligue-1-Aufsteiger Grenoble betritt sportliches Neuland
Als die Wahl des Japaners Watanabe Kazutoshi Ende 2004 auf den Ligue-2-Verein Grenoble fiel, wurde er noch belächelt. Was hatte das 47-jährige Geschäftsleitungsmitglied der «Index Holdings», eines japanischen Zulieferers für Mobile-Internet-Komponenten, dazu veranlasst, sich im unscheinbaren Klub «Grenoble Foot 38» (Grenoble ist die Hauptstadt des Départements Isère, dessen Kennzahl die «38» ist) in beträchtlichem Masse finanziell zu engagieren?
Die Argumentation des 47-jährigen Japaners war so stringent wie einfach. Index wolle in Europa die Bekanntheit erhöhen, und um das im Sinne des Unternehmens zu entwickeln, sehe man nur zwei Sektoren: Musik oder Sport. Er habe sich halt für Fussball entschieden. Und weshalb entschied sich der Fussballfan aus dem Fernen Osten für den nahezu unbekannten Klub in den Alpen? Weil er zuvor weder in England noch Deutschland fündig geworden war, der Verein von der Isère zu einem günstigen Preis auf dem Markt zu haben war und die Aussicht auf ein neues Stadion lockte.
Fernöstliches Orakel
Als «Eintrittsgeld» musste Kazutoshi zu Beginn seines Engagements gleich mal drei Millionen Euro einschiessen, um den nahezu konkursiten Verein am Leben zu erhalten. Das hielt Kazutoshi aber nicht davon ab, sofort seinen Plan zu skizzieren, wonach der Klub, der in seiner gesamten Historie nur zweimal für je ein Jahr der obersten Liga angehört hatte (1960 und 1962), innert vier Jahren in die französische Eliteklasse und innert zehn Jahren in die Champions League aufsteigen solle.
Inzwischen sind die ungläubigen Stimmen verstummt. Grenoble erreichte in diesem Sommer die Promotion in die Ligue 1 und verfügt seit Mitte Februar dieses Jahres über ein Bijou einer neuen Heimstätte, nämlich das Stade des Alpes, das 20 000 Zuschauern Platz bietet und höchsten Ansprüchen genügt. Der Sockel der auch architektonisch das Mittelmass übersteigenden Arena besteht aus Holzlamellen; das geschlossene Dach ist transparent, so dass der Alpenblick angesichts des Stadionnamens kein Etikettenschwindel ist.
Der zweite Anlauf von Bazdarevic
Der sportliche Erfolg mit dem unerwarteten Aufstieg ist zu einem grossen Teil das Verdienst des Trainers Mehmed «Mécha» Bazdarevic. Der 48-jährige Bosnier, der seine grosse Zeit als Mittelfeld-Stratege von Sochaux hatte und der seine Karriere als Teamverantwortlicher in der Saison 1997/98 als Spielertrainer von Etoile Carouge startete. Als Mitte Mai der Aufstieg von Grenoble feststand, mussten Bazdarevic und sein technischer Stab gleichwohl noch um die Promotion bangen.
Die «Direction Nationale de Contrôle de Gestion», die Finanz- und Lizenzierungsaufsicht im französischen Profifussball, hatte Grenoble angedroht, den Promotionsplatz am grünen Tisch zu annullieren, falls die Ausstände nicht beglichen würden. Doch die Vorfreude von Gervais Martel, dem Präsidenten von Absteiger Lens, der bereits mit einer Nicht-Relegation seiner Lensois liebäugelte und nicht müde wurde, den Finanzhaushalt Grenobles zu diskreditieren, war umsonst: Das Aktionariat aus Japan öffnete die Taschen noch rechtzeitig.
Bazdarevic hat in der Zwischenzeit mit Pierre Wantiez einen früheren Weggefährten aus Sochaux an seiner Seite als Directeur Général erhalten. Dazu wird ihm allenthalben clevere Einkaufspolitik attestiert: In den Personen von Daniel Moreira (Angreifer, von Rennes), Laurent Batlles (Mittelfeld, von Toulouse) und David Jemmali (Abwehr, von Bordeaux) hat er jede Reihe mit erfahrenen Ligue-1-Spielern ergänzt, welche die talentierten Eigengewächse wie Biagui Kamissoko, Francis N'Ganga und, speziell, den erst 18-jährigen Sofiane Feghouli, der bereits im Visier zahlreicher internationaler Grossklubs ist, an den höheren Rhythmus heranführen sollen.
Bazdarevic war bereits früher (2004), mit dem Kleinklub aus Istres, ein Aufstieg aus dem sportlichen Niemandsland in die Ligue 1 gelungen. Hier sollen aber aus Sicht des Bosniers die Parallelen aufhören, denn bei Istres wurde er nach einer halben Saison Ligue 1 entlassen (was damals den Abstieg auch nicht verhinderte). Und schliesslich ist eine solche Entwicklung in den Masterplänen der japanischen Eigner auch nicht vorgesehen.