Frage an die Polenkenner
Verfasst: 21. Jan 2003, 10:41
Wenn ich nach Chorzow per Zug an ein Spiel möchte, wohin muss ich dann; nach Katowice oder eine andere Stadt??? Chorzow selbst scheint keinen Bhf zu haben...
In den 80iger Jahren, als sich der eiserne Vorhang so langsam öffnete, blieben natürlich Einblicke in ausländische Fanszenen nicht verborgen und wie fast überall in Europa, wurde auch in Polen England zum Kult. Man orientierte sich nicht nur an den Gesängen und Fahnen, sondern auch dass Phänomen der Gewalt zwischen einzelnen Gruppen griff um sich. Bereits Ende der 80iger Jahre gab es Dutzende Spiele, bei denen sich mehrere hundert Jugendliche wahre Gewaltorgien lieferten. Die optische Präsentation der Fanblöcke jedoch blieb auf dem gleichen Level. Mitte der 90iger Jahre erfuhr die Szene in Polen jedoch ein regelrechter Umschwung. Die Jugend hatte die Stadien für sich entdeckt. War vormals das in etwa gleiche Klientel, wie man es von deutschen Stadien her kennt in den Blöcken zu erkennen, so wurde nun eine neue Generation aktiv. 13-20 jährige Jungs prägten die Szenerie und mit ihnen kam frischer Wind und eine gehörige Portion Aktivismus!
Doch was macht die polnische Szene so besonders? Im Gegensatz zu Deutschland versammeln sich in den jeweiligen Sektoren ausschliesslich Ultras und Hooligans, wobei der Typ des Hooligans am ehesten verbreitet ist, mit dem aus Deutschland bekannten, aber nicht viel gemein hat. Die meisten sehen von der Statur her, recht normal aus und sind im Durchschnitt zwischen 18 und 22 Jahren alt. Es gibt keine Splittergruppen, denn jeder zieht so mit, wie es die Masse vorgibt. Alles ist einheitlich und die Kurve hält zusammen, wie Pech und Schwefel. Man ist ums ärgste darum bemüht, sich dem Gegner von seiner besten Seite zu zeigen. Dazu gehören neben den üblichen Utensilien, wie Schwenkfahnen, Papierrollen, Konfetti, Bengalen, Rauchtöpfe, natürlich auch Gesänge. Ein besonderer Aspekt der Fankultur ist das zerstören der gegnerischen Farben. So ist Fahnen- und Schalklau ein sehr fest verankerter Teil im Leben eines Fans. Es stellt die grösste Schande für eine Szene dar, wenn ihr der gegnerische Mob eine geklaute Fahne kopfüber präsentiert, oder wie z.B. GKS Katowice jüngst beim Derby gegen Ruch Chorzow etwa 400 geklaute Ruch-Schals im gesamten Stadion auf dem Zaun aufhängt, um sie dann nach einem Bengalinferno komplett zu verbrennen. Doch es rappelt nicht nur untereinander. Die meisten Konflikte gibt es mit der Staatsmacht. Die Polizei ist in Polen so verhasst, das man es sich kaum vorstellen kann. Im Kampf gegen die Grünen hat schon so mancher verfeindete Mob zusammengehalten, was selbst für den Autoren dieser Story oftmals ein groteskes Bild ergab. Es liegt aber in der Mentalität der polnischen Bevölkerung. Diese hatte schon immer ihren eigenen Kopf und lässt sich selbst von der Regierung bzw. anderen Legislativen ungern Vorschriften machen!
Doch wer schon einmal Erfahrungen mit den Cops in Polen gemacht hat, kann diese Agressionen leicht nachvollziehen. Es demonstriert ein Gefühl von Stärke und Macht, wenn nach Randalen mit der Polizei der gegnerische Mob "Immer und überall, die Polizei wird gefickt" singt, und die rivalisierende Gruppe daraufhin lautstark applaudiert und beide danach gegen die Polizei singen. Doch nicht nur innerhalb des Stadions oder an Spieltagen, wird das Fandasein gelebt. Jeden Tag werden die Farben des eigenen Klubs zu einem zentralen Thema! Besonders in den Städten mit zwei Vereinen, oder im polnischen Kohlenpott, wo der Fussball stärker denn im restlichen Land gelebt wird, gibt es fast jeden Tag Auseinandersetzungen. Die Stadtgrenzen im Kohlenpott vermischen sich leicht, so dass klare Revierabgrenzungen schwer möglich sind. In Katowice ist natürlich GKS die Macht. Doch auch viele Ruch-Fans leben hier. Die Gebiete sind schon im vornherein aufgeteilt, was für den Betrachter auch an den vielen Graffitis sichtbar wird. Desöfteren begegnen sich verfeindete Gruppen auf den Strassen und es kommt zu schnellen und harten Fights. Einen Ehrenkodex gibt es in Polen in den seltensten Fällen. Der Kampf mit der Waffe ist besonders bei vielen jungen Fans normal! Benutzt wird alles, was wehtut. Lanzen, Keulen, Äxte, Brecheisen, vor nichts wird halt gemacht! Dies führte in der Vergangenheit natürlich schon zu diversen Todesfällen. Sei es durch Molotow-Cocktails oder durch Messer, der Tod ist allgegenwärtig. Eines der krassesten Beispiele ist sicherlich Krakow. Die schönste Stadt Polens (Weltkulturerbe der UNICF) mit den zwei ältesten, polnischen Klubs, dem derzeit 1. klassigem Wisla und dem dem 3.Ligisten Cracovia Krakow. Beide Vereine hassen sich wie die Pest! Die Stadt ist in verschiedene Zonen aufgeteilt. Im Nordwesten z.b. wohnen die Cracovia-Fans, in bestimmten Stadtteilen nur Wisla, da traut sich dann auch keiner des 3.Ligisten hinein. Mindestens zwei Mal pro Woche kommt es an den "Grenzen" zu Zusammenstössen. Gewaltbereit sind besonders die Hools von Cracovia, die vorsätzlich mit Messern zu Werke gehen und mit der Aussage "Die Zeit in der mit Fäusten gekämpft wurde, ist längst vorbei" verdeutlichen, welchen Weg sie verfolgen. Bei Heimspielen von Wisla ziehen die Cracovias einen grossen Ring ums Stadion des Rivalen und versuchen so nach Spielende so viele Wisla-Fans, wie nur möglich zu erwischen. Kündigt sich eine Auswärtsmannschaft an, wird im Minutentakt Patrouille gefahren und alle Stadtzufahrten werden von den Hools kontrolliert und der Gegner bei seiner Entdeckung sofort überfallen. Ähnliche Zustände herrschen auch in Lodz (LKS & Widzew), Czestochowa (Rakow gegen Basketball&Speedway-Hooligans) oder in der Kleinstadt Tarnow. Dem Fanatismus sind keine Grenzen gesetzt...
Ein kompliziertes Thema sind auch die Spiele der Nationalmannschaft. Es existieren in der Szene viele Freundschaften untereinander. Die zwei stärksten Bündnisse sind "Arka Gdynia-Lech Poznan-Cracovia Krakow" und "Slask Wroclaw-Lechia Gdansk-Wisla Krakow-Motor Lublin". Daneben vielleicht noch "Legia Warszawa-Pogon Szczecin-Zagkebie Sosnowiec", wobei hier die beiden letzten Vereine nicht direkt, sondern jeweils nur mit Legia befreundet sind. Nachdem es früher bei Länderspielen oftmals sehr derb gekracht hatte, wurde beschlossen, von nun an die Feindschaften während den Spielen der Nationalelf ruhen zu lassen und gemeinsam fur Polen zu kämpfen. Jedoch war die Dreiergruppe "Arka-Lech-Cracovia" kurz auch "ALC" genannt, dagegen. So kam es auf diversen Hooltreffen zu hitzigen Diskussionen, welche die Bildung einer grossen Koalition bei Länderspielen nach sich zog. Legia Warszawa war der Initiator des Ganzen (L-Spiele fanden bis dahin meist in der Hauptstadt statt). Dieser Koalition schlossen sich so ziemlich alle Vereine an, die mit Cracovia, Lech oder Arka keine Freundschaft haben. Letztere sind bei Länderspielen in Warszawa nicht erwünscht und dürfen das Stadion auch nicht betreten. Legia hat natürlich das Sagen und bestimmt z.B. welche Zaunfahnen hängen dürfen und welche nicht. Desweiteren ist es nicht erwünscht mit Vereinsschals bei L-Spielen aufzulaufen und jeder hält sich daran.