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PEINLICHE ANGST VOR DER WAHRHEIT
Michel Platini schüttelte den Kopf. Das war ja klar. Es war eine dieser typischen Unmutsäußerungen, über die man selbst nur den Kopf schütteln kann.
Wieder so ein peinlicher Reflex von realitätsentrückten Sportfunktionären, bei dem einem unweigerlich die Galle hochkommt.
Dienstagabend, Champions League. 20:50 Uhr. Basel, St.-Jakob-Park. Vier Greenpeace-Aktivisten hatten sich vom Stadiondach abgeseilt und dabei ein Banner entrollt, welches die Probebohrungen des russischen Öl-Giganten Gazprom kritisierte.
Ort und Zeitpunkt waren klug gewählt
Gazprom sponsort sowohl die UEFA als auch den FC Schalke 04. Bevor das Banner entrollt war, ertönten Pfiffe durchs "Joggeli", diese verstummten allerdings weitgehend, als die Worte "Gazprom, don't foul the Arctic" zu lesen waren. Die meistens Fans im Stadion hatten die Botschaft verstanden.
Hier ging es nicht um die Befindlichkeiten einer exklusiven Interessensgruppe, die sich mit ihrer Geltungssucht auf die große Bühne des Fußballs verirrt hatte, um dort jene zu nerven, die doch eigentlich nur Fußball sehen wollten.
Hier ging es um ein Problem, das universal ist und der Hinweis darauf umso berechtigter. Wenn Erdölförderung in einem sensiblen Ökosystem wie der Arktis schief geht, ist das eben nicht einfach nur Pech für ein paar Eisbären am Arsch der Welt.
Milliardenschwere Multis wie Shell und Gazprom mögen sich eine erneute Horror-Havarie wie etwa beim Deepwater-Horizon-GAU im Golf von Mexiko finanziell leisten können, die Weltgemeinschaft kann es nicht.
Jeder Ölteppich in der Arktis wäre das Leichentuch für ein Erbe der Menschheit. Auf ewig. Dagegen muten die zehn Minütchen unserer kostbaren Freizeit lächerlich an, die sich Greenpeace vom Fußball lieh, um uns vor den Augen der Gazprom-Partner im persönlichen Alltagsnebel mal wieder die Augen zu öffnen.
Respekt, Herr Heldt!
Schalkes Manager hätte gute Gründe gehabt, sich kritisch zu äußern. Doch Horst Heldt ist auch jemand, der weiß, wo im Fußball der Tellerrand endet: "Es ist wichtig, dass es solche Organisationen gibt, die sich für viele Aktionen einsetzen, die enorm wichtig für uns alle sind." Und sie bringen dafür persönliche Opfer.
So wie jene Greenpeace-Aktivisten, deren Schiff "Arctic Sunrise" vergangene Woche im Eis von russischen Spezialeinheiten der Küstenwache und Inlandsgeheimdienst FSB mit gezückten Waffen gestürmt worden war. Alle 30 Besatzungsmitglieder sitzen in U-Haft. Russland schwingt die Keule, spricht mal von Terrorismus, mal von Piraterie. Natürlich geht es um Wirtschaftsinteressen, der russische Staat hält 50 Prozent der Anteile an Gazprom.
Es verwundert nicht, dass ein Mann wie Michel Platini mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" nur etwas anfangen kann, wenn nachhaltig Geld in die Kassen der UEFA fließt. Seine Drohung, dem FC Basel eventuell eine saftige Geldstrafe für die Greenpeace-Aktion aufs Auge zu drücken, ist ein perfider Schachzug, schützt er doch den Sponsor, indem er den Fußball gegen die Ethik ausspielt. Mit Erfolg, wie die Reaktion von Basels Präsident Bernhard Heusler zeigt, der natürlich bereits ankündigte, jeden Cent bei Greenpeace einzuklagen.
Platinis Angst vor der Wahrheit
Zivilrechtliche Konsequenzen sind bei solch einer Aktion zwangsläufig und von Greenpeace auch einkalkuliert. Doch die angedrohte Strafe der UEFA ist lediglich ein Mittel, um vom eigentlichen Thema abzulenken und zehn simple Minuten der Wahrheit zügig mit einer Haftungsdebatte zu überdecken.
Die Begründung, Politik aus dem Stadion herauszuhalten, ist fadenscheinig. Der Sport ist auf diesem Niveau längst in allen Bereichen von wirtschaftspolitischen Interessen gelenkt. Der Moral bleibt bestenfalls noch die Rolle als Feigenblatt. Auf pseudosymbolischen Transparenten über gesellschaftliches Fairplay. Das ist Zynismus in Reinkultur.
Michel Platini jedenfalls hatte einst selbst für die vogelwilde WM-Ausrichtung in Katar gestimmt, woraufhin nur einige Wochen später sein Sohn Laurent als Europa-Chef beim mächtigen PSG-Eigentümer "Qatar Sport Investments" installiert wurde.
Der UEFA-Boss zeigt auch nach Basel einmal mehr, wes Geistes Kind er ist.
Michael Wollny
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