Artikel, der sich vor allem um CC dreht, stammt von einer älteren NZZ (am Sonntag: 16.4.). Da ich den Text sonst nirgends im Forum finden konnte, hier für die Interessierten nachgeliefert:
Die Walliser Versuchung
Von Flurin Clalüna
In der Büroecke steht ein ausgestopfter Wolf und fletscht die Zähne; zwei Telefone klingeln gleichzeitig, die Glastür schwingt auf, Christian Constantin tritt ein, das Handy am Ohr, mehrere Ordner unter dem Arm. Es vibriert in der Nervenzentrale des FC Sion, im Hotel Porte d'Octodure in Martigny, dort, wo die Fäden in der Hand des 49-jährigen Geschäftsmanns zusammenlaufen. Dem Sittener Fussballklubpräsidenten gehört eines der grössten Architekturbüros der Westschweiz - CC wird er mit Initialen genannt.
Wer durch Martigny mit seinen rund 14 000 Einwohnern spaziert, trifft seinen Namen überall. Diese Immobilie gehöre Constantin, sagen Passanten, jene seiner Frau und die gleich gegenüber habe er gerade erst verkauft. Constantin hinterlässt Spuren, nicht nur wenn er mit dem Ferrari durch die Gemeinde fährt. Es dauert nur wenige Minuten, ehe er, den Gesprächspartner stets jovial duzend, wieder davon spricht - vom grossen Fussball, seiner Leidenschaft, dem Big Business, den Träumen, die er verkauft wie kein anderer im Kanton. «In ein paar Jahren soll der FC Sion wieder zu den 30 besten Teams in Europa gehören», sagt er. Constantin erzählt nicht euphorisch, nicht wie im Rausch, ohne Wahnwitz in der Stimme. Er ist überzeugt. Von sich selber, seinen Plänen und dem Tempo - Sitten spielt heute in der Challenge League.
Dreissig Kilometer entfernt, im Hôtel de Ville von Sitten, hallen Constantins Worte im mit edlen Stuckaturen verzierten Tagungsraum der Regierung nach. François Mudry, der 56-jährige Stadtpräsident, stützt die Ellbogen auf den massiven Holztisch und sagt: «Wir haben Angst, dass eines Tages alles wieder von vorne beginnt; wir können und dürfen nicht vergessen, was damals war.» Wenn Mudry von damals spricht, meint er das Jahr 1997. Der Präsident des FC Sion hiess Constantin - und am Ende seiner ersten Amtszeit drückten den Sittener Verein 245 Gläubigerforderungen in der Höhe von über 16 Millionen Franken. Constantin hatte die Lohnspirale überdreht, den Klub mit über 130 Spielertransfers überhitzt und ihn besessen von seinen Visionen ins finanzielle Chaos getrieben. Als er 1997 nach dem Gewinn des Doubles die Champions League verpasste, brach das System zusammen und Constantin verliess den FC Sion.
«900 000 Franken hat die Stadt Sitten damals verloren», sagt Mudry. Der Verlust des öffentlichen Geldes schmerzt ihn immer noch. 40 Jahre lang besuchte er die Spiele des FC Sion, dann hängten Fans im Tourbillon-Stadion Transparente auf, die der Regierung die Schuld am Scheitern des Klubs zuwiesen und die drohten, seine Stadt in Brand zu stecken. Seither geht Mudry nicht mehr ins Tourbillon. Nach dem Double von 1997 bedrängte Constantin die Stadt heftig, sie möge ihm als Stadion-Besitzerin eine Kreditgarantie über 2 Millionen Franken gewähren, um das Tourbillon auszubauen. Die Regierung lehnte ab, wenige Tage später wurde das Ausmass der Schulden des FC Sion bekannt. «Hätten wir eingewilligt, hätten wir weitere 2 Millionen verloren», sagt Mudry.
Es war eine öffentliche Fehde, die Constantin und der Jurist damals austrugen, ein Kampf zwischen Fussball und Politik, die sich entfremdet hatten. Ein Duell aber auch zwischen dem traditionell von den Freisinnigen regierten Martigny und Sitten, der CVP- Hochburg. Es gibt Briefe, in denen Mudry seinen Gegenspieler als «verletztes Tier» bezeichnet, der die Stadt Sitten verabscheue und ihr einen Dolch in den Rücken stossen wolle. Heute sei die Beziehung zwischen der Stadt und dem Klub «ruhig», sagt Constantin.
Wer ihn auf seine Verantwortung aus der Vergangenheit anspricht, muss gewappnet sein. Der Präsident zückt sofort viele Ordner, Gerichtsurteile, bietet Einblick in Spielersaläre, zählt mit dem Taschenrechner Millionenbeträge zusammen und kommt dann zum Schluss: «Fehler? Ich habe es verpasst, meine Nachfolge zu regeln. Aber sonst haben wir damals gute Arbeit geleistet», sagt er und erzählt von den durchschnittlich 14 000 Zuschauern und den Titeln. Viele pflichten ihm mangels Alternativen bei, nicht nur die Kopfnicker, auch einige ehemalige Gegner.
Doch den Preis für den Erfolg, den Investitions-Exzess, blendet CC aus. «Das ist seine Taktik. Es ist, als hätten alle Verfehlungen gar nie existiert», sagt Mudry. Stattdessen gibt sich Constantin als Visionär, der die Entwicklung des internationalen Fussballs mit den explodierenden TV-Geldern vorausgesehen habe. Aber niemand, vor allem nicht die Walliser Politik, sei ihm damals gefolgt. Constantin sagt: «Als ich ging, war niemand mehr da, der genug finanzielle Mittel eingeschossen hätte.» Monate später unternahm er alles, um nach seinem Abgang den Konkurs des Klubs abzuwenden und einen Nachlassvertrag zu erreichen. Die Vermutung liegt nahe, dass er von der Angst vor einer Strafverfolgung getrieben war; im Konkursfall wären alle Machenschaften ans Licht gekommen. Oft wurde versucht, Constantin juristisch in die Verantwortung zu nehmen - mangels Beweisen erfolglos.
Seit er Ende 2002 wie der Phönix aus der Asche aufstieg und kurze Zeit später die Macht im zerfallsbedrohten Klub erneut übernahm, sind viele Walliser bereit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. «Die Jungen wollen Spektakel, und Constantin gibt ihnen, was sie wollen», sagt Mudry. Mehr als fünf Jahre hatte CC kein Spiel des FC Sion mehr im Stadion gesehen, doch als er gegen die Swiss Football League juristisch vorging und nach vielen Prozessen 2003 die Teilnahme des zwangsrelegierten Klubs an der Challenge League erwirkte, war der gefallene Held wieder auferstanden. Mudry sagt: «Den FC Sion gibt es gar nicht. Es gibt nur Constantin.» CC deckte nach seiner Rückkehr offene Rechnungen über 2,5 Millionen Franken und schoss seither durchschnittlich 500 000 Franken pro Saison in den Klub ein. «Ein vernünftiges Engagement», sagt er, wenn er die Zahl vergleichbaren Werbeaktivitäten gegenüberstelle. Es gibt im Wallis nur noch vereinzelte kritische Stimmen wie jene von Mudry: «Ist es nicht seltsam, dass der Mann, der den Klub in den finanziellen Ruin getrieben hat, wieder am Ruder ist?»
Hat Constantin vielleicht aus der Vergangenheit gelernt, hat er sich verändert? Mudry schüttelt den Kopf. Einblick in die Zahlen habe er nicht, doch ein Beispiel genügt ihm: Der FC Sion schuldet der Stadt für die Stadionmiete des Tourbillon 300 000 Franken. In Kürze geht der Fall vor Gericht, CCs Anwälte sind orientiert und kampferprobt. Respekt empfängt Constantin aus seinem Umfeld. Der ehemalige Fussballer Fredy Chassot, der in eigenwilliger Verbindung das Amt des Marketingverantwortlichen und des Assistenztrainers ausübt, sagt: «Vor 40 Monaten existierte der Klub nicht mehr, er war tot. Und dann kam Constantin zurück. Wären alle Präsidenten in der Schweiz so wie er, ginge es dem Fussball besser.» 7 Millionen Franken Einnahmen generiert der FC Sion in dieser Saison, 500o Saisonkarten habe der Klub verkauft, sagt Chassot, über 8000 Zuschauer kamen durchschnittlich ins Tourbillon. 2003 hatte der FC Sion noch 129 Saisonabonnements abgesetzt und kaum mehr 300 000 Franken pro Saison eingenommen. Steigt der FC Sion auf, soll das Budget von heute 6 auf 10 Millionen Franken erhöht werden, im sportlichen Erfolgsfall noch weiter - so hoch wie 1997 letztmals. Mudry graut, wenn er diese Zahlen hört: «Ich glaube nicht, dass das Wallis in der Lage ist, die nötige wirtschaftliche Kraft bereitzustellen.» Zum 100-jährigen Bestehen des FC Sion will Constantin bis 2009 in Martigny ein 200-Millionen-Franken-Stadion im römischen Stil mit 22 000 Plätzen errichten - mit Einkaufszentrum und Kasino. CC bleibt trotz Protesten aus Fan-Kreisen überzeugt von seinem Projekt. Sorgen, dass er zum Beispiel die Konzession für das Kasino nicht erhalten könnte, macht er sich nicht. «Es wird alles gut, keine Angst.»