Kohäsives Fahnenmeer
Von Pascal Claude
In einer Unterführung eines grossen Schweizer Bahnhofs hängt ein Plakat, auf dem steht: «Bilaterale stützen. Schweiz stärken. Ja zum Osthilfegesetz». Beim Osthilfegesetz, besser bekannt als Kohäsionsmilliarde, handelt es sich kurz gesagt um jenes Geld, von dem der neogrüne Museumsdirektor C. Mörgeli glaubt, es stehe ihm selber eher zu als einer ostslowakischen Bäuerin am Existenzminimum. Aber darum geht es nicht. Es geht um das Bild auf dem Plakat. Darauf ist eine grosse Anzahl wild wehender Schweizer Fahnen zu sehen. Das von zu viel Fussball verdorbene Auge erkennt sofort: Schweiz-Türkei, WM-Barrage, Stade de Suisse, Herbst 2005. Auf dem Plakat steht auch noch: «Besser für unser Land. CVP»
Das wirft doch Fragen auf. Warum wirbt die CVP mit Fussballfans dafür, sich anderen Ländern gegenüber grosszügig zu zeigen? Sind Fussballfans Sympathieträger, stehen sie für Offenheit, für internationale Solidarität? Für Geben statt Nehmen? Marianne Binder, Kommunikationschefin der CVP, reagiert am Telefon etwas verdutzt auf all die Fragen. Sie habe, gesteht sie, mit Fussball leider gar nicht viel am Hut (ein Gütesiegel, Frau Binder, spätestens seit der letzten WM). Was das Fahnenfoto sagen wolle, weiss Marianne Binder trotzdem: «Es geht um das Bild der Schweiz. Die Fahnen stehen für Dynamik, fürs Fansein von diesem Land.» Und wo sonst, fragt sie, würden so viele Emotionen frei wie beim Fussball?
Die Kampagne setze laut Binder bewusst auf die Farben des Landes, um den patriotischen Zugang nicht ausschliesslich jenen zu überlassen, «die glauben, wir können es allein schaffen». Zum Beispiel Ulrich Schlüer, der in einem überraschend trockenen Nebensatz Binders kurz sein Fett weg kriegt. Es ist nicht ganz einfach, die Kommunikationschefin weg von der Politik und zurück zum Kern unseres Gesprächs zu bringen: zum fragwürdigen Instrumentalisieren des Fussballs und dessen AnhängerInnen für politische Ziele. «Sie sprechen von Dynamik, Frau Binder,» versuche ich den Wiedereinstieg, «doch die von Ihnen verwendeten Fähnchen wurden damals zu Zehntausenden auf den Sitzen verteilt. Die Leute wurden vom Stadionsprecher aufgefordert, sie zu schwenken.» «Sie meinen, ein Fake?», fragt Frau Binder.
Fake ist ein harter Begriff. Wobei, beim genauen Hinsehen vielleicht doch nicht ganz falsch. Die Fähnchen nämlich trugen den Aufdruck der fünf Hauptsponsoren der Schweizer Nati. Der CVP-Grafiker hat die Logos aber allesamt wegretuschiert. Ein dickes Ding, nüchtern betrachtet: Die CVP wirbt mit einem manipulierten Bild von Fussballfans für ein Ja zum Osthilfegesetz. Von der Brisanz her eine «Blick»-Schlagzeile, nur zu lang.
«Sind Sie sicher, dass da Logos drauf waren?», fragt Marianne Binder zum Schluss. «Ja, denn oben rechts, da hat Ihr Grafiker welche vergessen. Man sieht noch die blauen Kästchen vom Sporttip», antworte ich. «Stimmt, ja. Bei mir am Computer sehen die aber grün aus.» «Das wäre dann Carlsberg. Aber es ist blau, ganz sicher. Es ist der Sporttip.»
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Und weiter gehts:
Wegwerfzubi
von Pascal Claude
Nach der letzten Kolumne äusserten sich einige Leute zu den gesponsorten Schweizer Fahnen. Jemand meinte, der Satz «Die CVP wirbt mit einem manipulierten Bild von Fussballfans für ein Ja zum Osthilfegesetz» müsste heissen «Die CVP wirbt mit einem manipulierten Bild von manipulierten Fussballfans für ein Ja zum Osthilfegesetz». Jemand anderes ging noch weiter und schlug vor: «Die CVP wirbt mit einem manipulierten Bild von manipulierten Menschen, die sich zwei Stunden lang aufführen, als wären sie Fussballfans, für ein Ja zum Osthilfegesetz». Es ist ein schöner Zug der deutschen Sprache, dass sie solche Ergänzungen bis ins Unendliche zulässt. Und ich unterstütze die beiden Änderungsvorschläge. Nach dem Länderspiel gegen Brasilien bin ich geneigt zu sagen: vor allem den zweiten.
«Weggis zu Gast in Basel», hiess das Motto der Begegnung im ausgebauten St. Jakob-Park. Lässige Leute aus allen Landesteilen waren gekommen, wie damals im Frühsommer am Vierwaldstättersee. Und wie damals waren sie bereit, tief in die Tasche zu greifen. Der SFV und die Schweizer Sportmedien hatten Spektakel versprochen. Sie konnten ihr Versprechen nicht halten. Das Spiel geriet zur Katastrophe. Die Brasilianer kümmerte es wie so oft wenig, dass man von ihnen Sambafussball erwartete, denn was Sambafussball ist, wissen nur wir hier in Europa. Die Brasilianer möchten einfach ihre Spiele gewinnen, so wie alle Mannschaften dieser Welt, und sie verfolgen ihr Ziel mit den Mitteln, die ihnen gerade zur Verfügung stehen. Aus der Hüfte kommt das immer seltener.
Die lässigen Leute im St. Jakob-Park wurden nun leider gleich doppelt enttäuscht. Denn auch die Schweizer Nati ist nicht mehr das, was sie vor kurzem noch war. Sie muss nun bis Juni 2008 kein Spiel mehr gewinnen, das schafft Platz für Hahnenkämpfe und sieht unansehnlich aus. Als Torhüter Pascal Zuberbühler irgendwann in der ersten Hälfte auf frivole Art einen Gegentreffer verschuldete, hatten die Sponsorenfahnenschwinger endlich eine Projektionsfläche für ihren Unmut: Zubi raus.
Zubi ist nicht Zoff. Aber Zubi hütete während Jahren das Tor von GC, dem FCB und der Nati. Wenn er wirklich so schlecht ist, wie er jetzt gemacht wird und wie seine missratenen Auslandeinsätze nahe legen, so heisst das vor allem etwas: Die andern sind noch schlechter. Der FCB hätte sich in seiner Champions-League-Umnachtung sofort einen besseren Schweizer Hüter geholt, gäbe es denn einen. Fabio Coltorti? Im Cupspiel gegen YF Juventus führte GC mit 4:0, ehe der Challenge-League-Schwanzklub noch dreimal traf und den Ausgleich nur wegen eines knappen Abseits verpasste. Beim ersten Tor schlug Coltorti über den Ball, die zwei andern landeten in der kurzen Ecke. Dino Benaglio? Wer kann glaubhaft versichern, ihn schon oft genug spielen gesehen zu haben beziehungsweise das Niveau der portugiesischen Liga fundiert einschätzen zu können?
Zubi ist ein Opfer eines Event-Mobs, der zahlt, um unterhalten zu werden, und wird er nicht unterhalten, rastet er aus. Als der FCB im Frühjahr bei YB 2:4 verlor und damit dem FCZ erst jenes denkwürdige Meisterschaftsfinale ermöglichte, sah Zubi wieder einmal nicht gut aus. Er begleitete einen Freistossball Hakan Yakins streichelnd ins Lattenkreuz. In der Pause auf dem Pissoir winselte ein stark betrunkener Basler Anhänger ein ergreifendes Klagelied auf den eigenen Goalie: «Es wird nie was mit ihm». Das war auch eine Zubi-Kritik. Aber sie war leise, verzweifelt, von Herzen. Sie war typisch für einen Klub-Fan. Die Baslerinnen und Basler haben viel gelitten mit ihrem Schlussmann, trotzdem gehörte er immer und entschieden zu ihnen. Ähnlich wars mit Pascolo beim FCZ. Was stand den Leuten das Herz still. Aber Pascolo war ihr Torhüter. Damit hatten sie zu leben.
Der klassische Fussballfan ist ein Anachronismus. Er trägt seit Jahren den selben Schal, statt sich jedes Jahr den neuen offiziellen zu kaufen. Er will lieber stehen für fünfzehn statt sitzen für fünfzig Franken. Er will nicht jede Saison 22 neue Spielernamen auswendig lernen. Er will am liebsten Stillstand, mindestens aber Kontinuität und Vertrautheit. Dafür ist er bereit, etwas zu geben: Geduld. Der lässige Sponsorenfahnenfan mit Weggiserfahrung hingegen ist der Fan von heute. Er kauft alles, was sie ihm anbieten, und wirft es schnell wieder weg. Auch wenns der eigene Goalie ist. Der Fan von heute konsumiert, Bo-Katzmann-Chor, Spacedream, Schweiz-Brasilien, Hauptsache mega. Das sieht man gern, in Muri bei Bern. Und dass der Fan von heute keine Leuchtfackeln reinschmuggelt, das sieht man noch lieber.