Fussball, Super League: Der FCL vor der Saison 2007/2008
«Nein, ich bin nicht gescheitert»
Davide Chiumiento wurde als Riesentalent gepriesen, als er mit 15 Jahren zu Juventus wechselte. Jetzt ist er zurück, beim FCL - und mit 22 Jahren ein Stück gereift.
Davide Chiumiento, ist der FC Luzern das, was Sie gesucht haben?
Davide Chiumiento: Ja, auf jeden Fall. Ich habe hier meine Ruhe, und die Gedanken sind nur positiv.
Sie wurden einst mit allen möglichen Superlativen geschmückt. Man pries Sie als Jahrhunderttalent, als Sie mit 15 von St. Gallen zu Juventus wechselten. Wäre alles richtig gelaufen, wären Sie heute als 22-Jähriger nicht in Luzern.
Chiumiento: Wenn ich mit 22 Jahren in Luzern bin, muss das nicht heissen, dass das nicht gut ist. Es gibt viele in meinem Alter, die für eine Rolle, wie ich sie hier habe, sofort unterschreiben würden. Es kommt doch immer darauf an, wie man die Sache anschaut …
… aber Sie selber hätten doch einen anderen Karriereverlauf erwartet.
Chiumiento: Mit 19 galt ich als grösstes Talent in Italien, ich war eine grosse Nummer, das ist die Wahrheit. Aber von Jahrhunderttalent und solchen Dingen habe nicht ich geredet. Ich war bei Juventus und kam zu Einsätzen, was für einen 19-Jährigen nicht selbstverständlich ist. Wer schafft es schon aus dem Nachwuchs von Juve in die erste Mannschaft? Letztmals war das bei Del Piero der Fall, und darum kamen ständig die Vergleiche mit ihm. Selber habe ich das nicht so realisiert. Mein Fehler war vielleicht … (Pause). Ich sah alles immer als Spass. Erst später realisierte ich: Du hast als 19-Jähriger mit Juve gespielt!
Warum sind Sie danach gescheitert?
Chiumiento: Gescheitert … Nein, nie, ich bin nicht gescheitert. Jedenfalls sehe ich das nicht so.
Sind Sie nicht von der Karriereleiter gestürzt?
Chiumiento: Wenn einer so fällt, wie ich angeblich gefallen sein soll, dafür geht es mir sehr gut. Sicher hatte ich andere Vorstellungen, aber ich weiss ja selber, wie die Wahrheit aussieht. Ich habe mir in Italien einen Namen gemacht und hätte bleiben können.
Aber?
Chiumiento: Ich bin auf Italien nicht mehr so gut zu sprechen. Vieles passiert hintenrum und läuft nicht sauber. Ich wollte einen Klub, der hinter mir steht, vor allem einen Trainer, der hinter mir steht. Ich wollte nicht wieder irgendwohin, weit weg von daheim, um vielleicht wieder ausgeliehen zu werden. Ich hatte die Nase voll. Im Ausland zu spielen, heisst nicht, im Paradies zu leben.
Haben Sie den Schritt ins Ausland zu früh vollzogen?
Chiumiento: Nein. Ich würde es immer wieder machen. Was ich erlebt habe, nimmt mir niemand mehr weg.
Aber Sie haben die verheissungsvollen jungen Jahre nicht bestätigen können.
Chiumiento: Ich habe nicht mehr erreicht, was die Zeitungen forderten. Dass ich jetzt in Luzern bin und nicht in Barcelona, hat seinen Grund.
Man könnte einfach sagen, dass die Rückkehrer in die Schweiz den Anforderungen des Auslands nicht genügen.
Chiumiento: Ich bin nicht dieser Meinung. Wenn man zum Beispiel nur auf Leihbasis bei einem Klub spielt, ist es noch schwieriger, sich durchzusetzen.
Glauben Sie nach wie vor daran, dass Sie gut genug sind, um eines Tages noch einmal ins Ausland zu wechseln?
Chiumiento: Ich sehe viele Spieler, die ins Ausland wechseln. Wer die Chance bekommt, hat es verdient. Vielleicht tönt es arrogant: Wenn ich mit meinen Qualitäten diesen Schritt nicht auch noch einmal schaffe, dann habe ich etwas falsch gemacht. Viele sagen immer, der Weg, den Barnetta einschlug, sei der richtige. Mag ja sein. Aber im Nachhinein lässt sich das immer einfach sagen. Wenn bei Siena der Trainer nach sechs Monaten nicht entlassen worden wäre, hätte ich es möglicherweise auf 30 Spiele gebracht. Aber dann musste er gehen - und der Neue schob mich zur Seite. Für einen Jungen ist es in Italien brutal hart, es sei denn, man heisse Robinho. Ich kam mir oft vor wie ein Objekt, das hin und her geschoben wird. Viel entscheiden konnte ich nicht.
Fehlen Ihnen die körperlichen Voraussetzungen für den Durchbruch?
Chiumiento: Grösse im Fussball spielt für mich überhaupt keine Rolle. Der Argentinier Messi ist das beste Beispiel.
Haben Sie zu früh darauf geschaut, möglichst viel Geld zu verdienen?
Chiumiento: Ich war nie ein Abzocker, im Gegenteil: Ich wurde abgezockt. Juventus machte mit mir doch lohnenswerte Leihgeschäfte.
Ihnen wird zuweilen auch Charakterschwäche vorgeworfen.
Chiumiento: In Bern hörte ich das, ja. Nur, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Das kann nur jemand behaupten, der mich nicht kennt.
Welche Rolle spielte Ciriaco Sforza bei Ihrem Transfer?
Chiumiento: Die wichtigste. Ich brauche das Vertrauen des Trainers.
Er erwartet, dass Sie ein Leader sind.
Chiumiento: Leader tönt egoistisch. Ich will Verantwortung übernehmen, nicht egoistisch sein.
Die Fans haben die Hoffnung, dass sie mit Ihnen auch schönen Fussball zu sehen bekommen.
Chiumiento: Ich will nicht spielen wie einer aus dem Zirkus, und ich weiss, dass ich die Effizienz verbessern muss. Ich will alles tun für den Erfolg.
Was ist mit dem FC Luzern in der kommenden Saison möglich?
Chiumiento: Einiges. Ich sage in diesem Zusammenhang immer wieder: Thun hat vor zwei Jahren vorgemacht, was möglich ist, wenn die Mannschaft zusammenhält. Bei uns weiss jeder, worin seine Aufgabe besteht, keiner hat die Bodenhaftung verloren. Die Luft in Luzern ist gut, was auch zeigt, dass der Trainer sehr gute Arbeit leistet. Das ist anders als noch bei YB. Da glaubten einige, sie würden bereits in einem grossen Klub spielen.
Verschwenden Sie heute noch Gedanken an die Nationalmannschaft und die Teilnahme an der Euro?
Chiumiento: Mein Fokus ist auf den FCL gerichtet und nicht darauf, dass ich möglichst gute Spiele abliefern muss, um an der Euro dabei zu sein. Ich erwarte gar nichts. Im Fussball darf man nicht erwarten, dass jemand einem anderen einen Gefallen tut.
Interview von Peter Birrer
" Ich will nicht spielen wie einer aus dem Zirkus, und ich weiss, dass ich die Effizienz verbessern muss."