Man kann über Urs Meier ja denken wie man will, finde jedoch einige Aspekte und Meinungen im Interview sehr gut.
Urs Meier: „Fairplay…"
Urs Meier, der Chef der Schweizer Oberliga-Schiedsrichter, äussert sich zu aktuellen Fragen rund um die auffallend hohe Medienpräsenz seiner Unparteiischen.
Die Schiedsrichter der obersten Schweizer Ligen stehen derzeit im Fokus von Spielern, Trainern, Funktionären - und damit auch im Fokus der Medien: Können Sie diese zumeist kritische bis negative Betrachtungsweise nachvollziehen?
Urs Meier: Da ich nun seit mehr als 20 Jahren in der obersten Liga der Schweiz tätig bin, kann ich vieles nachvollziehen, auch vieles ertragen und verzeihen. Selten habe ich aber erlebt, dass die Kritiker auch einmal einen konstruktiven Vorschlag unterbreitet oder einen konkreten Lösungsansatz präsentiert hätten. Mein Eindruck ist leider, dass gewisse Protagonisten, ob bewusst oder unbewusst, die Schiedsrichter als Sündenböcke benutzen, um von eigenen Fehlern oder Zulänglichkeiten abzulenken.
Auffallend ist die relativ aggressive Tonalität der Diskussion.
Urs Meier: In der Tat! Der Fokus der Kritik gilt nicht mehr nur dem Spiel, nein, Schiedsrichter und Assistenten werden auch noch in ihrer Persönlichkeit und Privatsphäre verunglimpft und diffamiert. (Pause) Fairplay heisst doch auch „vom anderen her denken“!
Konkret und aktuell: GC-Trainer Sforza sagt in der „Sonntagszeitung“ mehr oder weniger direkt, dass nicht kommunikationsbereite Referees etwas zu verbergen hätten; der „Blick“ unterstellt Schiedsrichter Wermelinger ziemlich unverblümt, er sei übergewichtig respektive nicht fit genug für die Leitung von Spielen der Axpo Super League; in der UEFA Champions League wartet selbst Arsenals Trainer Arsène Wenger lange, um Massimo Busacca die Meinung zu sagen: Wie beurteilen Sie diese drei Fälle?
Urs Meier: Die drei Fälle haben alle eine unterschiedliche Ausgangslage und trotzdem gewisse Parallelen: Gerade Ciriaco Sforza oder auch Murat Yakin sind in der Vorrunde aufgefallen, wie souverän und ruhig sie Entscheide, auch falsche oder harte, gegen ihre Mannschaft, gegen aussen kommentiert oder eben nicht kommentiert haben. Dass die Schiedsrichter nicht kommunikationsbereit sind, ist einfach nicht wahr! Ich kenne keinen Schiedsrichter in den höchsten Ligen, der nicht bereit ist, nach einem Spiel mit den Verantwortlichen zu sprechen und das Geschehen zu analysieren. Doch sollte dies nicht unmittelbar nach Spielschluss geschehen, wenn die Emotionen noch gross oder bisweilen zu stark sind, sondern nach einer Abkühlphase. Nach dem Duschen sind die Türen bei den Schiedsrichtern seit jeher weit offen. Fairplay heisst vom anderen her denken!
Das haben Sie schon gesagt.
Urs Meier: Und ich wiederhole es gerne auch mit Blick auf den so genannten Fall Wermelinger! Wenn man einen 40-jährigen Schiedsrichter, der Normalgewicht hat und alle 6 FIFA-Konditionstests pro Jahr besteht, wegen seines Äusseren an den Pranger stellt, muss man sich schon fragen, was der Inhalt einer solchen Zeitung ist. Ein derartiger Artikel schwächt die Schiedsrichter, schadet ihrem Ansehen, ihrer Position im Fussball. Das kann doch nicht das Ziel sein, oder? Darum gilt auch hier: Fairplay heisst vom anderen her denken!
Und auch bei Arsène Wenger?
Urs Meier: Genau! Nach dem Aus bei Barcelona spielte Arsène Wenger den viel zitierten schwarzen Peter nicht seinem Spieler van Persie zu, sondern Schiedsrichter Busacca, obwohl dieser nur unparteiisch und neutral die Regeln und Weisungen umgesetzt und einen richtigen Entscheid gefällt hatte. Darum zum dritten und letzten Mal: Fairplay heisst vom anderen her denken!
Gibt es andere, so genannte Fälle?
Urs Meier: Ich beantworte gerne die Frage von Thuns Trainer Murat Yakin: "Gab es jemals einen vierten Offiziellen, der in einem entscheidenden Moment den Mut hatte, einzuschreiten?" Ja, ja und nochmals ja. Zum Beispiel beim Spiel Luzern - YB in der letzten Saison, als der vierte Offizielle den Schiedsrichter korrigierte, welcher einen Elfmeter gegen Luzern gegeben hatte, anstatt Doumbia für seine Schwalbe zu sanktionieren. Oder auch im letzten Spiel FCZ – Sion, als der vierte Mann dem Schiedsrichter mittels Kommunikationssystem mitteilte, dass Penalty und Platzverweis nötig seien. So gibt es in fast allen Runden Hilfestellung des 4. Offiziellen an den Schiedsrichter.
Murat Yakin fordert, Schiedsrichter sollen Spiele leiten, aber nicht entscheiden.
Urs Meier: Das kann ich nur unterstreichen. Es ist für jeden Unparteiischen ein Stich ins Herz, wenn er nach dem Spiel erkennt, dass er einen spielentscheidenden oder -beeinflussenden Fehler gemacht hat. Doch auch hier gilt: Menschen machen Fehler, Menschen dürfen Fehler machen. Und für alle, die es vergessen haben, Schiedsrichter sind auch Menschen.
Wie gehen Sie mit Schiedsrichtern um, die in diesem Fokus der Öffentlichkeit stehen?
Urs Meier: Unterschiedlich. Mit konstruktiver, sachlicher Kritik muss ein Schiedsrichter, der in den obersten Ligen pfeift, der im Fokus der Öffentlichkeit steht, umgehen können. Doch mit unberechtigter, persönlich gefärbter Kritik ist es schwer umzugehen, sie schadet oft mehr als sie nutzt. Es ist dann an uns, die Schiedsrichter zu unterstützen und zu begleiten, damit Selbstvertrauen und Sicherheit nicht verloren gehen. Dies sind ganz wichtige Elemente für eine erfolgreiche Spielleitung.
Der Besuch von Klub-Protagonisten im Trainingslager der Schiedsrichter auf Gran Canaria schien für Anerkennung der Spielleiter und deren Engagement zu sorgen, aber nicht für Nachhaltigkeit. Sehen Sie Gründe dafür?
Urs Meier: Ich denke, es war ein erster Schritt in die richtige Richtung, dass diese Klub-Protagonisten einmal die sehr gute und seriöse Arbeit der Schiedsrichter sehen und diese Einblicke und Eindrücke auch den anderen Klub-Präsidenten übermitteln konnten. Ich denke aber, dass sich in Zukunft jeder Einzelne ein persönliches Bild verschaffen sollte. Gerne wird die Schiedsrichterkommission die Daten für die Schiedsrichterkurse bekannt geben.
In einem Blog lässt sich Eishockey-Profi-Schiedsrichter Danny Kurmann zitieren, offene Kabinentüren und offener Meinungsaustausch habe die Akzeptanz der Schiedsrichter bei Spielern und Funktionären erhöht: Hat der Fussball Nachholbedarf?
Urs Meier: Ich war schon einige Male mit Danny Kurmann unterwegs und war immer wieder erstaunt über die Mentalität im Eishockey. Da kommt ein Trainer nach dem Spiel, nach der Abkühlphase, wie ich es oben beschrieben habe, in die Schiedsrichtergarderobe und "kritisiert" die Unparteiischen, diese wiederum zeigen ebenfalls "Fehler" des Coaches auf und ... dann trinken sie in der Regel gemeinsam etwas und wünschen sich alles Gute für das nächste Spiel. Toll, kann man da nur sagen, oder? Von dieser konstruktiven Diskussion profitieren beide Parteien. Leider herrscht diese Mentalität im Fussball nicht vor, noch nicht. Aber, wie bereits erwähnt: Die Türen bei den Schiedsrichtern sind schon seit jeher offen, weit offen!
Ein Dauerbrenner ist das Thema Profi-Schiedsrichter, wie das etwa Danny Kurmann im Eishockey ist: Für die einen zwingend nötig, für die anderen völlig unnötig, weil Profi-Schiedsrichter genauso Fehler machen können wie Profi-Fussballer. Wie ist der Stand der Dinge von Ihrer Seite?
Urs Meier: In der Frage zum Profi-Schiedsrichter kann ich nur sagen, dass eines unserer Ziele ist, mit den Schiedsrichtern und Assistenten noch intensiver zu arbeiten und sie dabei gleichzeitig finanziell so zu entlasten, dass sie ihre Arbeitsverträge anpassen und mehr Zeit für die Schiedsrichterei, aber auch für die Erholung und Vorbereitung gewinnen können. Wir kommen diesem Ziel, gemeinsam mit dem Schweizerischen Fussballverband und der Swiss Football League, immer näher.