Quelle: NZZ am Sonntag, 23.11.2014
Mit einem Feuer, in dem viel verbrennt
Obschon der FC Luzern ein neues Stadion hat, findet er keinen Halt. Zu viele pflegen ihr Ego, zeigen Ungeduld, destabilisieren. Jetzt ist auch das Projekt mit Alex Frei gefährdet.
Der Sportchef Alex Frei im neuen Stadion des FC Luzern: Im Verein herrscht seit Wochen Unruhe. (Luzern, 20. November 2014)
Von Peter B. Birrer
Vor zwei Jahren verwandelte sich der FC Luzern scheinbar vom Krisen- zum Vorzeigemodell. Neues Stadion, durchschnittlich 14 000 Zuschauer, zweiter Rang, taktisch gefestigtes Team, Perspektiven mit dem Trainer Murat Yakin. Der Geldgeber Bernhard Alpstaeg nahm damals vor dem Cup-Final gegen Basel zwischen Zug und dem Entlebuch ein «Vibrieren der Luft» wahr. Das Fazit 2014 ist dagegen ernüchternd: letzter Platz, kein Cup, noch 11 000 Zuschauer. Dazu gesellt sich eine Lokalpresse, die einen nach dem anderen auf die Gabel nimmt. Um den Klub breitet sich ein Feuer aus, in dem viel verbrennt.
«Das ist halt der FC Luzern», sagt Walter Stierli. Er war lange Klubpräsident und treibende Kraft, als mit dem Bau der neuen Arena regionale Kräfte gebündelt werden mussten. Das ist sein grosses Verdienst. Stierli hat etwas Hemdsärmeliges, Polemisches, Gewinnendes auch, und er ist über die Jahre zum Lokalfürsten aufgestiegen. Heute fungiert er als Ehrenpräsident des Klubs und als Aktionär der Holding, die über das Stadion und den FC wacht. In der Holding ist Stierli mit Alpstaeg verlinkt. Zusammen kontrollieren sie 51 Prozent, also die Mehrheit. Doch die Geldspritze und das Machtzentrum ist der Swisspor-Chef Alpstaeg, der die Namensrechte der Arena erworben hat und Millionen fliessen lässt. Stierli kam dank seiner guten Arbeit im Stadionprojekt günstig zu seinem 25-Prozent-Anteil, den er nun abgeben will.
Aber man weiss nicht, ob dem so sein wird. Denn Stierli kann nicht loslassen, obschon er einmal gesagt hat, dass er die Kraft für den FC nicht mehr aufbringe. Er pflegt Seilschaften und übt, obwohl er 2012 als Klubpräsident zurückgetreten ist, ausserhalb des Scheinwerferlichts Einfluss aus, auf Alpstaeg, der weit weg vom FC ist, auf Personen im Umfeld des Klubs – und mit direktem Zugang in die Chefetage der «Neuen Luzerner Zeitung». Auch wenn guter Wille vorhanden ist, kann das destruktiv einwirken. Unberechenbar ist es alleweil. Derzeit ist der FCL die Antithese zum FC St. Gallen, wo Geldgeber unter der Leitung des diskreten Dölf Früh geeint sind und der Trainer Jeff Saibene in der Medienrunde wie unter Kumpeln reden kann. Früh lässt keine Kritik am Sportchef Heinz Peischl und an Saibene zu. Aber Früh hat es auch einfach, weil St. Gallen mehr gewinnt als verliert.
Im Verwaltungsrat der Luzerner Holding, in dem auch Samih Sawiris sitzt, haben Egos eine Art Konkurrenzverhältnis aufgebaut, sie neigen zum Ausschweifen. Alpstaeg kann poltern, die Frisur eines Angestellten öffentlich zum Thema machen oder dem früheren Techniker-Duo Komornicki/Hermann «Ahnungslosigkeit» unterstellen. Er, der mit dem Swisspor-Unternehmen eine Milliarde Schweizerfranken pro Jahr umsetzt, kann über den FCL auch sagen: «Es muss ein Kick durch die ganze Bude.» Oder: «Es rollen Köpfe.» Mässigung ist nicht seine Stärke.
2013 wurde dem Luzerner Cocktail der Sportchef Alex Frei beigefügt. Ausgerechnet Frei, der als mittelmässig talentierter, aber williger Stürmer viele Tore schoss, der als verbissener Chrampfer gilt, der einen Namen hat, der sich verkaufen kann. Er soll sich in Luzern zurechtfinden, in einem Klub, in dem man laviert und den Opportunismus pflegt, in dem indirekt verlangt wird, dass man lächelt und «Sali Sepp» hier, «Sali Hans» dort sagt.
Das Projekt, das Frei 2013 mit dem Trainer Carlos Bernegger anstiess, lief gut an. Vor einem Jahr kitzelten die Luzerner Basel. Anfang 2014 setzten die Investoren den Banker Rudolf Stäger mit einem 60-Prozent-Pensum als Präsidenten ein. Weil die Zuschauerzahlen zurückgingen, wurde Frei ein Sparprogramm von gegen einer Million Franken verordnet. Frei und Bernegger verabschiedeten Besserverdienende wie Puljic, der immer noch keinen Klub hat, wie Stahel, der ersetzbar schien, wie den Grossverdiener Rangelow, der disziplinarisch Mühe hatte. «Ich akzeptierte den Sparauftrag» sagt Frei, «aber man kann dann nicht davon ausgehen, automatisch um Platz zwei zu spielen. Dies entspricht nicht den Gegebenheiten des Marktes». Es könne aufgehen, dass man spart und gleichzeitig ein Team dynamisiert, «aber das ist selten».
Mit der Zäsur wurde die Mannschaft billiger, aber nicht besser. Sie verlor, und die üblichen Mechanismen setzten ein. Kritik in den Medien am Trainer, an Spielern. Bös erwischte es den Verteidiger François Affolter, einen Frei-Transfer, sowie den langjährigen Torhüter David Zibung, der den Boden unter den Füssen verlor, worauf ihn Bernegger auf die Ersatzbank setzte. Die Folgen: schleichende Zersetzung, Entlassung Berneggers, dessen Vertrag ein paar Wochen zuvor von Stäger und Frei bis 2016 verlängert worden war. Auch der Trainerassistent Thomas Wyss musste gehen. Das bringt Kosten von gegen 600 000 Franken mit sich und öffnet Angriffsflächen gegen Frei/Stäger. Mit Markus Babbel kam ein neuer Trainer. Aber in der allgemeinen Verunsicherung folgt kein wirklicher Turnaround, vor allem bestehen wieder Aussichten auf einen 2- bis 3-Millionen-Fehlbetrag. Abermals ein Sparauftrag? Unmöglich, eigentlich.
Es dampft, die Kritik an Alex Frei wächst, wie so oft in Luzern werden über verschlungene Kanäle Dinge gestreut. Und Frei kuscht nicht. Das ist gefährlich. Schon wird die graue Eminenz Walter Stierli mit dem früheren YB-Chef Ilja Kaenzig am Tisch gesehen. Demnächst wird der Verwaltungsrat tagen. Wenn er Frei das Misstrauen aussprechen sollte, dürfte der 35 Jahre junge Sportchef nicht lange Federlesens machen.
«Manchmal kommt ein Gefühl der Machtlosigkeit auf»
Alex Frei polarisiert, früher als Fussballer, jetzt als Sportchef des FC Luzern. Warum?
Ich suche das nicht, aber es ist so.
Woher kommt das?
Ich kann das auch als Kompliment auffassen, es ist aber Fluch und Segen zugleich. In Luzern ist die Situation insofern etwas anders, als ich hier bewusst versuche, Druck von der Mannschaft weg und auf mich zu lenken.
Haben Sie sich vorgenommen, als Sportchef diplomatischer zu werden?
Ich versuche es.
Wie schwierig ist das?
Manchmal kommt ein Gefühl der Machtlosigkeit auf, weil ich jetzt gewisse Dinge nicht mehr so beeinflussen kann wie früher, als ich die Antwort auf dem Platz geben konnte.
Sie kippen beim ersten Windstoss nicht gleich um und haben eine erstaunliche Spielerkarriere hinter sich. Sie haben auf dem Platz oft aus Reibung Energie gewonnen und Reibung in Tore umgesetzt. Fehlt die Nähe zum Geschehen?
Ich kann jetzt keine Tore mehr erzielen. Das war sicher ein Ventil für mich.
Wo ist das Ventil jetzt?
Ich brauche das so nicht mehr. Und wenn, powere ich mich am Montagabend im Training und am Freitag oder Samstag im Match der Senioren vom FC Biel-Benken aus. Ich mache keine Tacklings, aber ich renne bis zur Erschöpfung. Körperlich geht’s mir gut. Das Gewicht verlagert sich, jetzt habe ich weniger Muskeln.
Es ist erstaunlich, wie ein Teil der Fussballszene Alex Frei Schlechtes wünscht. Einige wollen, dass er als Sportchef auf die Nase fällt.
Es kommt darauf an, wer Absender der Wünsche ist. Wie definiert sich «auf die Nase fallen»? Entlassung? Abstieg?
Das Ende des Projekts Alex Frei in Luzern.
Kann sein, dass das einige freuen würde. Aber am Ende des Tages muss es für mich selber stimmen.
Vor wenigen Wochen musste der Luzern-Trainer Carlos Bernegger gehen. Inwiefern ist das Scheitern Berneggers eine Niederlage für Sie?
Was ist – abgesehen vom Meistertitel 1989 und vom Cup-Sieg 1992 – die vielen Jahre zuvor in Luzern gewesen? Eine Trainerentlassung fällt immer auf viele Beteiligte zurück. Wenn man jetzt sagt, dass ein Projekt gescheitert sei, ist das zu sehr schwarz-weiss gemalt. Tabelle anschauen, Trainer entlassen, alles gescheitert. Das ist mir zu einfach.
Wachsen Sie an Widerstand?
Wir stellen eine Mannschaft zusammen, 11 oder 14 spielen. Nicht ich. Wenn man gegen Luzern gewinnt oder siegt, macht man das nicht gegen Alex Frei. Ich habe einen gewissen Ehrgeiz. Ich hatte ihn ausgeprägt als Spieler, weil ich weniger Talent hatte als andere. Das konnte ich mit Ehrgeiz wettmachen. Ich bin glücklich, habe eine tolle Frau und zwei gesunde Kinder.
Wie ist der Kampf in Luzern?
Man versucht tagtäglich, die Energie zu behalten.
Welches war bis jetzt der härteste Moment in Luzern?
Das kann ich so nicht sagen.
Haben Sie Fehler gemacht?
Alle machen Fehler.
Schätzten Sie etwas falsch ein, als Sie nach Luzern kamen?
Ich wusste, dass der FC Luzern ein Haifischbecken ist. Aber mir war nicht bewusst, dass so viele Haie darin schwimmen.
Interview: Peter B. Birrer