Fangewalt: Datenschutz heisst zu oft Täterschutz
Die Luzerner Regierung zieht einer Initiative gegen Fangewalt wegen datenschutzrechtlicher Bedenken vorsorglich die Zähne. Schon vor wenigen Monaten bremste das Bundesgericht den Kanton in einem ähnlichen Fall aus. Die Täter freuts.
«Fans klagen wegen personalisierter Tickets gegen Veranstalter – ESC abgesagt!» Die Schlagzeile ist erfunden. Wahr ist hingegen, dass dem Publikum nur mit ID und gültigem Billett Einlass zur grossen Musikshow von nächster Woche in Basel gewährt wird. Bei unzähligen Anlässen sind personalisierte Tickets im Einsatz und breit akzeptiert. Nicht aber beim Fussball. So teilte der Luzerner Regierungsrat kürzlich mit, dass er eine Initiative der Mitte-Partei, mit der Massnahmen gegen Fangewalt gefordert werden, nur teilweise befürwortet und einen Gegenvorschlag ausarbeiten will.
Abgestützt durch ein externes Gutachten kommt die Regierung zum Schluss, dass drei Forderungen «mit höherrangigem Recht in Konflikt stehen»: das Speichern und Herausgeben der Besucherdaten an die Bewilligungsbehörde, das Einführen personalisierter Tickets und das automatische Anordnen von Geisterspielen. Wann ein konkreter Gegenvorschlag auf dem Tisch liegen wird, ist unklar. Die Vorlage dürfte aber schwächer ausfallen als die Mitte-Initiative. Das proaktive Handeln der Luzerner Regierung mag auf den ersten Blick überraschen. Schliesslich hat sie als Mitglied der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz deren Kaskadenmodell inklusive personalisierter Tickets stets mitgetragen.
Auf den zweiten Blick lässt sich das nun gewählte Vorgehen mit einem Rüffel erklären, den Luzern vor wenigen Monaten stellvertretend für weitere Kantone beim Bundesgericht einstecken musste. Der Regierungsrat und mit ihm eine Mehrheit des Kantonsrats hatten eine systematische Erfassung von Kontrollschildern von fahrenden Autos geplant. Auch Lenker und Mitfahrende hätten fotografiert werden können. So hätte die Polizei leichter gestohlene Fahrzeuge oder auch gesuchte Personen finden können. Das neue Luzerner Polizeigesetz hätte zudem die gesetzliche Grundlage für den Datenaustausch zwischen den Kantonen und dem Bund schaffen sollen. Die höchsten Richter verorteten aber einen «unverhältnismässigen Grundrechtseingriff» und rechtliche Kompetenzen auf Bundes- statt Kantonsebene.
Behörden und Richter gewichten damit die Grundrechte von Autofahrenden höher als jene von ÖV-Nutzenden. Polemisch könnte man sogar sagen, sie rieten Tätern zur Nutzung des Autos. Denn in Bussen, Zügen und Bahnhöfen sind bereits Tausende Videokameras installiert. Die Videos aus Bahnhöfen werden laut den SBB während 120 Stunden gespeichert. In den Zügen kann die Speicherdauer auch geringer ausfallen. Nur die Transportpolizei der SBB kann die Videodaten auswerten – und das auch nur nach einem entsprechenden Ereignis. Eine Herausgabe der Daten an die Strafverfolgungsbehörden «erfolgt nur gegen entsprechende Editionsverfügung», heisst es im Datenschutzhinweis.
Die Videoüberwachung von Verkehrsteilnehmern ist also wie das Einführen personalisierter Tickets durchaus möglich. Erfüllt sein müssen zwei Voraussetzungen. Erstens: Es braucht klar definierte Regeln. Das schreiben übrigens auch die Gutachter zur Mitte-Initiative: «Der Anwendungsbereich und die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um die Speicherung entsprechender Daten anordnen zu können, müssen klar geregelt werden. Zudem müssen Bestimmungen über die Aufbewahrung, die Dauer der Speicherung und den Gebrauch der Daten (allenfalls auch durch Dritte) existieren sowie Prozesse zur Datensicherheit und zur Löschung etabliert werden, um die willkürliche Handhabung und den Missbrauch möglichst auszuschliessen.»
Die zweite Voraussetzung ist das Anerkennen neuer Realitäten. Polizei und Staatsanwaltschaften können personell nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten und brauchen wirksamere Instrumente, um auch mit Menschenmassen klarzukommen. Oder wann kam es zum Beispiel bei Ausschreitungen an Fussballspielen letztmals zu Verhaftungen? Derweil entwickelt sich die Digitalisierung zu einem Schnellzug in die Zukunft, den Polizistinnen und Staatsanwälte nicht betreten dürfen, während Kriminelle längst ungefragt Platz genommen haben. Verglichen mit anderen europäischen Ländern sind die Schweizer Polizeikorps beim Datenaustausch noch im Zeitalter der Dampfeisenbahn. Der Datenschutz muss wichtig bleiben. Aber so wie er derzeit ausgelegt wird, bedeutet er zu oft Täterschutz.
Quelle: Luzernerzeitung vom 8.5.2025
Bald digitale Pyros im Stadion? Läck ist das ein schlechter Artikel...